In letzter Zeit ist hier im Blog wenig los. Ich hätte viel, sehr viel zu zeigen. Aber momentan geht mir ein wichtiges Thema nicht aus dem Kopf. Also schreibe ich das mal alles auf. Es geht und Geschlechter- und Genderkram...
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Als Kind habe ich nie mit Puppen gespielt. Ich habe gern Häuser gebaut und eingerichtet, auch für Puppen, aber auch einfach so ganze Städte aus Lego oder Bauklötzen erschaffen. Ich habe auch gern Puppenkleidung gehäkelt und ihnen angezogen. Ich hatte eine Menge Kuscheltiere, die ich sehr geliebt und mit denen ich gekuschelt habe. Aber ich habe nie die typischen Rollenspiele gespielt. Stattdessen habe ich mich für Autorennbahnen, Eisenbahnen und Fischer-Technik interessiert. Leider gehörten diese Dinge immer den Jungs und die haben mich nicht mitspielen lassen, weil ich ein Mädchen war. Mit den Mädchen wollte ich nicht spielen, weil die immer nur Mutter-Vater-Kind spielen wollten. Um nicht immer allein spielen zu müssen, habe ich also manchmal doch mitgemacht und immer den Vater gespielt. Den wollte nämlich keine andere spielen. Dabei war das die coolste Rolle: von der Arbeit kommen, keine Hausarbeit machen müssen und bedingungslos geliebt werden.
Es gab in meiner Klasse ein Mädchen, das von den Jungs als Spielkamerad akzeptiert wurde. Sie trug nie Kleider oder Röcke, immer nur Hosen und niemals Rüschen, Glitzer, rosa oder lila. Sie fuhr ein Rennrad und hatte eine Spielzeugpistole mit diesen Knallplättchen auf rotem Papierband. Das alles hat sie nicht aus Berechnung getan, sondern weil sie es so wollte. Und sie durfte mit den Jungs spielen. Aber ich wollte mich nicht als Junge verkleiden. Ich hatte gern lange Haare, ich trug gern Kleider, auch mit Rüschen, Glitzer und in ALLEN Farben.
Mein Cousin in Süddeutschland war vier Jahre älter als ich und hatte als einer der ersten einen Computer. Als ich in den Ferien bei ihm und seinen Eltern war, hat er mir das Programmieren beigebracht. Ich war fasziniert. Natürlich auch von den tollen Spielen, die man darauf spielen konnte. Boulder Dash! Für mich noch immer eins der besten Spiele überhaupt!
Jedenfalls war es nie ein Thema, ob ich nun ein Mädchen bin oder nicht. Er hat mir alles gezeigt und beigebracht und auch seine Freunde haben mich akzeptiert. Erst zurück in Berlin bin ich auf Ablehnung gestoßen. Als ich begeistert von meinen Computererlebnissen erzählte und plante, mein Taschengeld zu sparen, um mir bald einen eigenen Computer zu kaufen und später Informatik zu studieren, kam nur die Frage: "Wieso denn das? Du als Mädchen? So ein Quatsch!" Niemand hat mich bestätigt oder unterstützt. Das hat mich so verunsichert, dass ich fortan nicht mehr darüber geredet habe.
Dann hatten die ersten Jungs aus meiner Klasse einen Computer. Und bis wir in der Schule fakultativen Informatikunterricht hatten, waren sie mir so weit voraus, dass ich keine Chance hatte, mitzumachen. Dem Lehrer war deutlich anzusehen, dass es ihm auch lieber war, mit den Jungs "richtige" Aufgaben zu machen, als mit mir den Anfängerkram. Meine Begeisterung für diese Dinge wandelte sich in Trotz. Wenn ihr mich nicht wollt, will ich euch auch nicht! Blöder Computerkram!
Dabei war ich Klassenbeste unter anderem in Mathe und Englisch, konnte mit meiner Logik alle an die Wand argumentieren. ABER DANN HALT NICHT!
In der Oberstufe hatte ich Mathe und Physik als Leistungskurse, weil ich in beidem Klassenbeste war und mir diese Fächer Spaß gemacht haben. Leider mochte der Physiklehrer keine Mädchen in seinem Kurs haben und er hat uns - das Rennradmädchen (s.o.) und mich - immer mies behandelt. Natürlich nie so, dass man damit zu einer übergeordneten Stelle hätte gehen können. Aber bei unseren Fragen hat er immer die Augen verdreht, als ob es gaaanz dumme Fragen wären und auch nur ganz knapp geantwortet. Er hat uns auch mündlich schlechter bewertet als die Jungs, obwohl wir mindestens genauso gut waren. Aber das kann man natürlich schlecht nachweisen.
Trotz der Note 5 in Physik habe ich ein gutes Abitur geschafft und nach einem Umweg über zwei Semester Geisteswissenschaften ein Ingenieurstudium absolviert. Oh Wunder, hier war ich in Physik wieder eine der besten. In Mechanik habe ich sogar als einzige von mehreren Hundert Studierenden die volle Punktzahl erreicht. Ich konnte inzwischen ganz gut die blöden Kommentare vom Lerninhalt abgrenzen. Aber damit Ihr auch Euren Spaß habt, erzähle ich mal zwei Anekdoten:
In Thermodynamik wusste ich als einzige die Antwort auf eine bestimmte Frage. Darauf ruderte der Professor ein paar Sekunden und sagte dann: "Klar, die Hausfrau weiß das natürlich."
In Werkstofftechnik zählte der Professor die verschiedenen Materialien auf: Metalle, Keramik, "und Kunststoffe, das wird vor allem die Damen hier interessieren, denn daraus macht man WINDELN!"
Wenn Leute von meinem Studienfach erfahren haben, kam oft die Frage: "Ist das nicht besonders schwer für ein Mädchen?" Ich habe damals sachlich geantwortet: "Nein, wir bekommen die gleichen Aufgaben wie die Jungs."
Heute würde ich sagen: "Ja, aber nur wegen der vielen blöden Vorurteile und Sprüche und weil wir in der Kindheit nicht genauso unseren Talenten entsprechend gefördert werden wie die Jungs!"
Ich wollte gern ein Praktikum in einer Gießerei machen, konnte aber nicht, weil es dort keine sanitären Einrichtungen für Frauen und keinen Ruheraum gab.
[Dass ich nie Autogenschweißen gelernt habe, lag ausnahmsweise mal nicht an meinem Geschlecht, sondern an meiner Linkshändigkeit. Die Arbeitsplätze waren nur für Rechtshänder eingerichtet. Man konnte sie gar nicht mit links benutzen. Und ich hatte im rechten Arm weder die Kraft noch die Feinmotorik, um (als Anfängerin!) mit rechts zu schweißen.]
Auf einem Ausflug der Arbeitsgruppe, in der ich studentische Hilfskraft war, kamen die Kollegen alle in Doppelzimmern unter und hatten so auch nur den halben Preis für die Übernachtung zu bezahlen. Ich schlief allein im Zimmer und durfte doppelt so viel zahlen wie die anderen. Jetzt könnte man sagen: Dafür können doch die Kollegen nichts. Richtig. Ich aber auch nicht. Warum habe ich dann den finanziellen Nachteil?
Nach dem Diplom habe ich ein paar Jahre gearbeitet und dabei den ganz normalen Berufsalltag erlebt: Kunden, die lieber mit einem männlichen Kollegen sprechen wollten, obwohl ich am besten über das Projekt bescheid wusste. Kollegen, deren Augen stets auf meinem Oberkörper ruhten, wenn sie mit mir sprachen, selbst wenn ich einen Laborkittel oder einen dicken Winterpullover trug.
Jetzt bin ich seit neun Jahren "Familienmanagerin", wie man das heute nennt, wenn man nicht "Hausfrau und Mutter" sagen will. Gelegentlich werde ich gefragt, ob ich meinen Beruf vermisse. Nein, ich vermisse ihn nicht. Natürlich wäre ich gern finanziell unabhängig und für den Ernstfall abgesichert. Und es wäre schön, mehr Anerkennung zu bekommen. Aber mein Interesse für Technik kann ich wunderbar mit meinen Kindern ausleben. Ich bastle auch gern mit meinem Mann zusammen technische Lösungen, die es nicht zu kaufen gibt.
Objektiv betrachtet finde ich es tragisch. Denn ich könnte unserer Gesellschaft sicher sehr viel besser nutzen, Dinge erfinden oder verbessern, die Wirtschaft ankurbeln, ein Vorbild sein. Aber es ist so anstrengend, als Frau in einem "Männerberuf" ständig diese Vorurteile, die Sprüche, die Benachteiligungen auszuhalten. Und als Mutter von einem hochsensiblen Schulkind und einem hochbegabten Vorschulkind bin ich so schon chronisch erschöpft.
Mein Appell an alle: Ignoriert doch einfach mal das Geschlecht der Menschen, vor allem der Kinder. Die meiste Zeit ist doch das Geschlecht eines Menschen völlig unwichtig. Wenn jemand schöne Sachen strickt, ist das doch toll! Wenn jemand geniale Maschinen baut ebenso! Wenn ein Kind gern Zahnräder zusammenschraubt oder eine Puppe frisiert, ist es doch egal, welche Geschlechtsteile es in seiner Hose hat. Es ist egal!