Letzten Frühling sah ich ein Interview mit Harald Welzer, das mich sehr beeindruckt hat. Sein Buch stand seither auf meiner Wunschliste und als ich es neulich in der Bücherei stehen sah, habe ich es mir sofort ausgeliehen. Leider schreibt er ganz anders, als er spricht. Beispielsatz: "Denn mit der funktionalen Differenzierung von Gesellschaften, die arbeitsteilig organisiert sind, ist ein höchst flexibler Subjekttypus entstanden, der in der Lage ist, wechselnde und oft sogar höchst widersprüchliche Rollenanforderungen in Familie, Beruf, Verein, Freundschaftsbeziehungen usw. geschmeidig zu bewältigen." Geht es noch geschraubter? Tut mir leid, ich habe von jeher eine Aversion gegen unnötig komplizierte Texte. Ich habe immer das Gefühl, ich soll möglichst beeindruckt sein, wenn sich jemand so umständlich und mit vielen Fremdwörtern und Fachbegriffen ausdrückt. Ich verstehe zwar jedes Wort und begreife auch den Sinn, aber es ist so anstrengend zu lesen. Das macht doch keinen Spaß. Für mich ist es auch viel beeindruckender, wenn jemand mit einfachen Worten und kurzen Sätzen die Dinge auf den Punkt bringt. Aber ich gehöre wohl einfach nicht zur Zielgruppe. Wie diese genau aussehen soll, ist mir allerdings nicht klar, denn der Autor spricht seine Leser immer wieder direkt an, z.B. "So wie Sie sich Ihren Lebensraum mit Produkten vollstellen, von denen Sie bis vor kurzem gar nicht wussten, dass Sie sie jemals haben wollen würden, so wenden Sie immer mehr Zeit dafür auf, sich in diesem Konsumuniversum für oder gegen irgendetwas zu entscheiden: Sie lesen Tests und Erfahrungsberichte, arbeiten sich durch Bedienungsanleitungen und Updates, rufen Preisvergleiche ab, schließen Verträge aller Art ab - weshalb Sie immer mehr kaufen, aber immer weniger konsumieren, was Sie gekauft haben." Mach ich doch gar nicht*! Aber die Leute, die das machen, wollen sicher nicht mit solchen Bandwurmsätzen kritisiert werden.
In der Energiezukunft habe ich neulich einen Artikel gelesen, der eigentlich dieselbe Botschaft hat, aber viel mehr nach meinem Geschmack ist. Verständlich formuliert, mit dem Fokus auf Lösungen macht er einfach gute Laune und Lust, selbst auch etwas bzw. noch mehr in dieser Richtung zu machen.
*In dem wirklich sehenswerten Interview wird der TV-Beitrag "Die 20 größten Konsumsünden" erwähnt. Die meisten dieser Sünden begehe ich nicht, habe sie teilweise noch nie begangen. Und wenn doch, dann selten oder bio oder fair.
Und Du?
Ich geb dir vollkommen Recht: Das macht keinen Spaß zu lesen. Und das ist schade! Mit solch einem Stil tut sich der Autor nicht wirklich einen Gefallen...
AntwortenLöschenIch habe mich gefreut, dass diese Gedanken inzwischen nicht nur bei Ökologen und Soziologen gedacht werden, sondern auch Einzug gehalten haben in die Wirtschaftswissenschaften. DA müssen nämlich meines Erachtens andere Konzepte jenseits der Wachstumsidee entwickelt werden. Und da ist mir kürzlich vom Volkswirtschaftler Niko Paech die "Befreiung vom Überfluss" in die Hände gefallen. Das kann man gut lesen. Oder sich ebenfalls auf youtube ansehen...
Danke für den Tipp!
LöschenSchau ich mir mal an.
Ächz, ja, typischer Soziologenslang. Als Buch scheitert sowas: für den interessierten Laien, an den es sich wendet, viel zu geschraubt, das liest kaum einer zuende. Im wissenschaftlichen Kontext ist es wegen der direkten Ansprache des Lesers wieder zu populär. Mir fallen nur zwei mögliche Lesergruppen ein: Rezensenten von großen Tages- und Wochenzeitungen und Leute wie mich: (Nebenfach-)SoziologInnen, die am wissenschaftlichen Diskurs nicht teilnehmen, aber gerne mal was aus der Disziplin lesen.
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