Freitag, 1. November 2013

Wann wird der Handel endlich mutiger?

Eigentlich bin ich ja für mehr Wohlstand ohne Wirtschaftswachstum. Es wird eh viel zu viel Zeug produziert und dabei Umwelt, Ressourcen und Menschen ausgebeutet. Aber ich bin auch nicht gegen jeglichen Konsum. Manchmal muss auch ich etwas kaufen. Ich mache zwar viel selbst, nutze Gebrauchte Dinge und recycle so viel wie möglich, aber erstens habe ich nicht in allen Bereichen das nötige Talent und zweitens ist auch meine Zeit nicht unendlich.

Ich bewundere ja z.B. Anja Rieger, die inzwischen sogar ihre Schuhe selber macht und Katharina, die wunderschöne Dessous näht. Aber das schaffe ich nicht auch noch. Selbst wenn ich sofort anfangen würde, diese Techniken zu erlernen und mir alles nötige Gerät anzuschaffen, so würde ich es nicht schaffen, z.B. rechtzeitig noch diesen Herbst Winterstiefel für die Kinder und mich herzustellen. Letzte Nacht habe ich nämlich geträumt, dass Schnee liegt und tatsächlich kann das ja im November durchaus passieren.

Zurück zum Thema: Wenn man zur breiten Masse des Durchschnitts gehört, kann man sicher ganz einfach einkaufen gehen. Aber wehe, man weicht von der Norm ab, die vielleicht dem Durchschnitt entspricht, wobei ich das Gefühl habe, dass sie eher von der Diät-Industrie definiert wird, damit wir unser Geld dafür ausgeben, ein Idealmaß zu erkämpfen, das unerreichbar ist, nicht zu uns passen würde und auch kaum einem Mann gefällt. Jetzt mal so heteronormativ gesprochen. Und es geht so schnell: Sind die Füße zu groß, die Waden zu dick oder - sozusagen geistige Abweichung von der Norm - will man Stiefel mit langem Schaft, aber ohne hohe Absätze, jedoch mit robuster Profilsohle, die trotzdem nicht klobig wirken, kann man noch so viel durch die Läden rennen. Ich glaube, die wollen mein Geld nicht.

Auch im Dessous-Bereich finde ich es immer schwieriger, etwas zu finden, das mir gefällt und passt. Dieses komische Größensystem berücksichtigt ja nur zwei Maße: Die Körbchengröße und den Unterbrustumfang. Ansonsten wird angenommen, dass die Brüste ohne großen Abstand nebeneinander  wohnen (liegen, hängen, stehen, mir fällt gerade kein passendes Verb ein) und außerdem halbkugelförmig sind.  Wer ein BH-Modell ohne Bügel sucht oder eines, das nicht aus Plastik ist, hat es auch schwer.

Ich mache mal einen kleinen Vergleich: Stellt Euch vor, da gibt es einen Strand mit mehreren Eisverkäufern. Aber jeder darf nur eine Geschmacksrichtung anbieten. Es werden Umfragen gemacht und 40% der potentiellen Kunden essen am liebsten Erdbeereis. 30% mögen gern Schokolade, 20% Vanille, der Rest ist unentschlossen. Um den größten Umsatz zu machen, entscheidet sich jeder Verkäufer für Erdbeer. Die Kunden, die lieber Vanille und Schoko mögen, laufen von Eismann zu Eismann und werden enttäuscht. Die Eismänner jammern, weil sie abends über die Hälfte der Ware wegwerfen müssen. Und genauso ist es mit der Kleidung und den Schuhen. 

Der Handel bedient die von BWLern sorgfältig festgelegte Zielgruppe, der Kleidergröße 36 bis 40 mit den entsprechenden Proportionen und Schuhgröße 38 bis 40 passt, die hohe Absätze und Bügel-BHs aus Polyester kaufen will, jammert aber wegen zu geringer Umsätze. In den Einkaufszentren und Hauptgeschäftsstraßen gibt es fast nur noch die Standardläden, die alle dasselbe Zeug anbieten. Warum bedient denn der Handel nicht auch mal die zweit- und drittgrößte Zielgruppe? Die kleinen, großen oder dicken Menschen mit den kleineren oder größeren Füßen oder die Leute, die einen Geschmack oder Anforderungen etwas abseits vom Mainstream haben? Diese Kunden haben auch Geld. Warum will der Handel dieses Geld nicht haben???

4 Kommentare:

  1. Fast jedes Wort kann ich so unterschreiben. Es geht mir genauso.
    Aber gerade heut ist mir ein Katalog in die Hände gespielt worden, der mich optisch und mit Worten sehr anspricht: Deerberg. Nahezu jedes Kleidungsstück gefällt mir, weil alles luftig und locker und bequem aussieht und alles andere als die Standardfarben und Formen, die man sonst so sieht. Jedes Paar Schuhe ist ein Gedicht, z.B. Winterstiefel mit Profil ohne Absatz, hoch, halbhoch, zum Schnüren und mit Reißverschluß - von wegen Größenanpassungen.
    Bisher kann ich weder was über die Qualität noch über die Güte wie auch immer sagen, ABER es gibt in Berlin noch bis Mitte/Ende Januar 2014 einen Fabrikverkauf: Forum Steglitz, 1. UG - wenn ich das nächste Mal in Berlin bin, will ich mich auf jeden Fall dort mal umsehen.

    LG und ein schönes Wochenende
    Zottellotte Sonja

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  2. Tja, das frage ich mich auch immer - so habe ich mir den Kapitalismus nicht vorgestellt. Es gibt ja nicht "mehr"im Sinne von Vielfalt, sondern nur mehr vom Gleichen. Ich glaube die Tendenz geht bei den Größen sogar zu immer mehr Standardisierung. Bei Oberhemdengrößen habe ich einen gewissen Überblick: vor ein paar Jahren gab es noch eine relativ große Auswahl bei Hemden mit besonders langen oder besonders kurzen Ärmeln. Diese so genannten "Sondergrößen" sind nach und nach aus den Läden verschwunden und werden - weil der Einzelhandel das weniger nachfragt - wahrscheinlich auch weniger produziert, und irgendwann gar nicht mehr, weil es ja nicht lohnt. Die großen Ketten gehen nur auf Masse und versuchen, den absoluten Standard zu verkaufen, Folge: alle haben dasselbe. Die Nischen werden zwar nach und nach von anderen, kleineren Anbietern besetzt, aber die muss man als Kunde erstmal finden.
    BHs aus Baumwolle ohne Bügel gibts übrigens bei american apparel (wobei ich natürlich nicht weiß, ob das genau das ist, was dir vorschwebt). Totaler Hipsterladen, aber Hipster mögen offenbar gemütliche bunte Unterhosen aus Baumwolltrikot...

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  3. Geht nmir auch so, obwohl ich einigermaßen nah dran bin an den Standardgrößen. Jetzt müsste ich halt noch den Standardgeschmack haben... Und ich gebe zu, in den Fällen, wo der stationäre EInzelhandel meine Bedürfinisse nicht berücksichtigt, hab ich auch keine Skrupel im Internet zu bestellen. Was Nieschen angeht ist der Onlinehandel wirklich ein Segen. Traurig aber wahr, auch in einer Stadt wie Hamburg hat man sonst nur eine sehr begrenzte Auswahl.
    Grüße,
    Nike

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  4. Bin über Umwege gerade bei deinem Beitrag gelandet. Toll beschrieben - das Eis-Beispiel verdeutlicht es richtig gut!
    Ich weiß schon, warum ich (w, 1,82m) nicht gerne shoppen gehe...
    Viele Grüße, Goldengelchen

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