Freitag, 24. Juli 2020

Die beiden großen Tabus


Warst Du schon einmal dabei, als ein Mensch geboren wurde oder gestorben ist?
Ich meine, natürlich abgesehen von der eigenen Geburt und vielleicht der Geburt Deiner Kinder.

Es sind doch zwei Ereignisse, die mit jedem Leben zu tun haben. Und dennoch erleben die meisten von uns es nie mit, wenn ein Leben beginnt* oder endet. Und falls doch, sind wir unvorbereitet und hilflos.
Was ist zu tun? Was braucht dieser Mensch jetzt?
Mütter sind bei der Geburt ihres ersten Kindes verunsichert, haben keine konkrete Vorstellung, wie das ganze abläuft. Die Geburt meiner Kinder waren die ersten und einzigen, die ich erlebt haben. Kind1 war auch das erste Kind, das ich je gewickelt habe. Wickelräume und Stillräume sind mit so viel Diskretion versteckt, dass man von diesen Vorgängen nichts mitbekommt. Als wäre es etwas Ekliges oder Peinliches, das doch wirklich niemand sehen will.

Geburten haben wir weit weg geschoben in Kreißsäle mit Ärzt'innen mit Gummihandschuhen und Hebammen in sterilen Kitteln. Medizinische Geräte piepen und es gibt Schichtwechsel.
Wenn überhaupt kommt vielleicht der Kindsvater mit, muss aber ggf. draußen warten.
Gebärende Mütter befolgen brav, was ihnen das Krankenhauspersonal sagt, sie legen sich auf den Rücken, damit die Geburtshelfer'innen möglichst bequem ihre Arbeit machen können.

Welches andere Säugetier legt sich bitte für eine Geburt auf den Rücken?
Wie bekommen Kühe, Pferde, Giraffen, Hunde, Katzen, Mäuse ihre Kälber, Fohlen, Welpen?
Im Stehen oder auf der Seite liegend! Und in den meisten Fällen kommen sie dabei allein klar.
Ja, ich weiß, dafür dass wir Menschen aufrecht gehen, sind bei uns die Geburten schwieriger.
Aber da hilft es doch nichts, wenn man sich auch noch total unnatürlich auf den Rücken legt!
Das ist doch nicht artgerecht!
Aber das wird nun einmal seit über 100 Jahren so gemacht und die Leute im Kreißsaal werden schon wissen, wie das richtig geht. Wir selber machen uns da ja keine Gedanken darüber, bis wir uns dann selbst irgendwann in der (Rücken-)Lage befinden.

Zum Sterben geht man auch eher ins Krankenhaus, ins Hospiz oder ins Altersheim.
Lassen wir mal die Fälle weg, bei denen jemand einen Unfall hat und dann im Krankenhaus stirbt.
Alle anderen liegen dort in fremden Betten und warten allein auf den Tod.
Ab und zu kommt vielleicht jemand zu Besuch, aber dort herrscht ja immer so eine beklemmende Atmosphäre, dass man auch schnell wieder gehen will. Wie traurig! Für alle!

Ich habe den Eindruck, dass es für uns besser wäre, wenn wir den Anfang und das Ende des Lebens  anderer Menschen wieder zu einem Teil unseres eigenen Lebens machen könnten. Aber in den meisten Familien ist dafür kein Platz. Und weil wir uns davon so entfremdet haben, haben wir auch Angst davor. Niemand will gern Angehörige pflegen, weil das so anstrengend ist und gesellschaftlich auch nicht anerkannt wird. Aber gleichzeitig wollen wir selber doch auch nicht allein in einem fremden Zimmer auf den Tod warten.

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*Natürlich lebt ein Baby schon im Mutterleib. Aber da wächst es am Anfang unerkannt und dann ist es ein langer Prozess, kein aufregendes Ereignis, das an einem bestimmten Tag stattfindet.

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